Zeitzeugeninterview: Die Studentenbewegung aus Sicht des ehem. Rektors Engelhardt

Aus 1968
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Inhaltsverzeichnis

Biografie

Klaus Engelhardt wurde am 11.Mai 1932 in Schillingstadt, im Main-Tauber-Kreis in einer Pastorenfamilie geboren. Er wuchs in Wiesloch mit drei Geschwistern auf.

Engelhardt besuchte von 1939 bis 1943 die Volksschule in Wiesloch, 1952 machte er sein Abitur am Kurfürst-Friedrich-Gymnasium in Heidelberg.

Bis 1956 absolvierte er sein evangelisches Theologiestudium an den Universitäten in Göttingen, Basel und Heidelberg sowie sein Vikariat im Schwarzwald, um anschließend den Beruf des Pfarrers zu ergreifen. 1956 bis 1959 schrieb er an seiner Dissertation zur Geschichte der alten Kirche und betätigte sich als Famulus in der Theologischen Fakultät Heidelberg. 1959 wurde er zum Dr. theol. bei dem Kirchenhistoriker Hans Freiherr von Campenhausen promoviert. 1959 bis 1960 besuchte Engelhardt das Heidelberger Predigerseminar. In diesem Jahr legte er auch sein zweites Theologisches Examen ab und erhielt anschließend die Ordination. Berufstätig wurde er schließlich ab 1960 als Vikar in der Heidelberger Johanniskirche sowie anschließend in Hinterzarten im Schwarzwald. Zwei Jahre später arbeitete er als Studentenpfarrer in Karlsruhe.

In den Jahren 1966 bis 1980 lehrte er an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg als Professor der Evangelischen Theologie und Religionspädagogik. Ab 1971 wurde er Rektor der Hochschule. Diesen Posten nahm er bis 1976 ein.

Von der Synode der Landeskirche in Baden gewählt, wurde Engelhardt 1980 zum Landesbischof und Nachfolger Hans Wolfgang Heidlands gewählt. In den Jahren 1991 bis 1997 wurde er zum Ratsvorsitzenden der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland), von der er seit 1985 bereits Mitglied war. Seit 1998 befindet sich Klaus Engelhardt im Ruhestand.

Während seiner Mitgliedschaft bei der EKD machte sich unter anderem das Zusammenwachsen der Kirchen von Ost- und Westdeutschland deutlich bemerkbar. Zu den größten Streitpunkten des Ostens und Westens dieser Zeit zählte Engelhardt die Militärseelsorge, den Religionsunterricht sowie die Stasi-Belastung der kirchlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Er fungierte als "Motor der kirchlichen Einheit zwischen Ost und West", was sich vor allem in seinem Einsatz für das Zusammenbringen der evangelischen Christen in den neuen und alten Bundesländern zeigte. Weitere Themen, die ihn beschäftigten, waren die Friedensfrage und das Kirchenasyl.

Seine größten Taten manifestierten sich im Steit um den Bau der Daimler-Benz-Teststrecke in den 80er-Jahren, den er zu hemmen versuchte, nachdem es zu kriegsähnlichen Zuständen im Boxberger Kirchenbezirk gekommen war. Zum anderen moderierte Engelhardt den Streit über die Militärseelsorge im wiedervereinigten Deutschland sowie die Diskussion über das Frauenforschungszentrum Gelnhausen. "Als Ratsvorsitzender machte sich Engelhardt zudem für eine strukturelle Konzentration im deutschen Protestantismus stark und schlug eine Reform der konfessionellen Zusammenschlüsse, sowie mehr Kooperation der Landeskirchen vor. Auch mit der katholischen Kirche suchte der badische Theologe [...] den Dialog".

Engelhardt lebt heute mit seiner Frau in Karlsruhe. Gemeinsam haben sie drei Kinder. Bernhard Schlink, Schriftsteller und Jurist, ist sein Schwager. Sein Sohn Markus Engelhardt ist evangelischer Dekan in Freiburg.

Pädagogische Ideen

Die Demonstrationen und Proteste der Studentenbewegung, die in den 60er- und 70er Jahren in den großen Städten, wie Berlin und Frankfurt am Main stattfanden, gab es ebenso in der Universitätsstadt Heidelberg. Auch hier demonstrierten Studenten gegen die Notstandsgesetze und veranstalteten Anti-Springer-Aktionen als Reaktion auf das Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968. Der Vietnamkrieg der USA war gerade hier ein Grund für zahlreiche Proteste. Hinzu kam, dass das Hauptquartier der U.S. Armee sowie der Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte ihren Sitz in Heidelberg hatten.[1]
Die Heidelberger Protestaktionen, Vorlesungsstörungen und auch Institutsbesetzungen wurden von der Bevölkerung keineswegs als harmlos wahrgenommen, was sich daran zeigt, dass diese des Öfteren in der überregionalen Presse Erwähnung fanden. So beispielsweise in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Heidelberg zur Zeit der Osterunruhen von 1968 als „Brennpunkt der Studentenrevolte“ betitelte.[2] Zu Beginn der Studentenbewegung waren die Ausläufer jedoch kaum an der Pädagogischen Hochschule zu spüren. Von der Zeit von 1965 bis 1971, als Prof. Dr. Kollnig Rektor war [3], gab es kaum Protestaktionen. Dies änderte sich in der folgenden Zeit, als Prof. Dr. Engelhart Rektor wurde. Anfang der 70er Jahre häuften sich nun auch an der PH die Proteste, allerdings ging es hier wesentlich gemäßigter zu als an der Universität.[4] Ein Grund dafür ist die Größe und Struktur der PH. Sie war wesentlich kleiner als die Universität und so war das Verhältnis von Studierenden und Dozenten enger und weitaus weniger anonym. Dennoch bestand, wie es Engelhardt aus heutiger Sicht beschreibt, ein gewisses Grundmisstrauen gegenüber den Dozenten.[5]

Berufsverbote:

Das Misstrauen der Studierenden verstärkte sich mit dem am 28. Januar 1972 verabschiedeten Beschluss der Berufsverbote, der schnell unter dem Begriff „Radikalenerlass“ bekannt wurde. Darin hieß es, dass Beamte für die freiheitlich-demokratischen Grundordnungen im Sinne des Grundgesetzes einzutreten haben. Eine Mitgliedschaft in einer Partei oder Organisation, die die verfassungsmäßige Ordnung bekämpft sowie sonstige Förderungen solcher Parteien und oder Organisationen führte so zu einem Loyalitätskonflikt. Ein solcher Loyalitätskonflikt entstand beispielsweise durch eine Mitgliedschaft in der KHG (Kommunistische Hochschulgruppe). Eine Bewerbung für den öffentlichen Dienst konnte dann abgelehnt werden. Vor diesem Beschluss wurde eine Verbeamtung nur verweigert wenn eine Mitgliedschaft in einer verbotenen, verfassungswidrigen Partei bestand. Nun reichte bereits eine Mitgliedschaft in einer Partei oder Organisation aus, die nicht verboten, war sondern lediglich als „verfassungsfeindlich“ galt. Dies hatte zur Folge, dass die Einstellungsbehörden den Verfassungsschutz fragen mussten, ob Informationen über politische Aktivitäten derjenigen vorliegen, die sich als Beamte bewarben. Allein im Zeitraum von Anfang 1973 bis Mitte 1975 wurden so über 450 000 Bewerbungen überprüft. [6]
An der PH wurde darauf von den Studierenden eher ambivalent reagiert. Auf der einen Seite führten die Berufsverbote zu Verunsicherung und Zurückhaltung. Auf der der anderen Seite reagierten die Studierenden mit vermehrten Protesten in Form von Vollversammlungen und Sit-Ins oder durch das Verteilen von Flugblättern und Umfunktionieren von Seminaren. Seminare wurden gegebenenfalls so umfunktioniert, dass die Studierenden über aktuelle politische Themen diskutierten und debattierten.[7]

Die Demokratisierung der Hochschulen:

Neben dem Radikalenerlass war die Hochschulreform ein zentrales Thema. Bereits 1961 verfasste der SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) eine Denkschrift über die Hochschule in der Demokratie. Darin wurde eine Demokratisierung der Hochschulen gefordert, das heißt die Dezentralisierung der Universität in kleinere Einheiten der Selbstverwaltung sowie eine Neuordnung der Institution und des Studiums. Kritisiert wurde darin ebenso der fehlende Einklang von Wissenschaft und gesellschaftlichen Anforderungen, also die gesellschaftliche und politische Verantwortung der Wissenschaft. 1968/69 wurden diese Grundsätze durch Hochschulgesetze in Baden-Württemberg, Hamburg, Berlin, Nordrhein-Westfahlen, Hessen, Rheinlandpfalz und im Saarland verwirklicht. [8] Um mehr Mitbestimmungsrecht in der Hochschulpolitik aufzubauen forderten Studierende die Drittelparität. Damit wollten sie erreichen, dass die Gremien der Hochschule aus drei Gruppen, mit jeweils gleichem Stimmrecht bestehend sollten. Die Gremien setzten sich demnach aus Dozenten, dem Mittelbau und den Studierenden selbst zusammen.[9] Ziel war es die Entscheidungsgewalt von Forschung und Lehre demokratisch zu verteilen, so dass diese nicht mehr alleine den Professoren überlassen war.[10] An der PH Heidelberg war dies eine erneute Konfliktsituation, bei der sich das Verhältnis von Studierenden und Dozenten verhärtete. Aus studentischer Sicht bot ein weiterer Anlass für Konflikte die Hochschulpolitik des Rektors Engelhardt. Vor allem die KHG (Kommunistische Hochschulgruppe) prangerte ihn für seine Politik an und beschimpfen ihn beispielsweiße auf Flugblättern als „liberalen Scheißer“. [11] Sie warfen ihm politische Entrechtung vor, die Politik des Kultusministeriums durchzusetzen und so das Studium wieder zu einer „Geldsache“ zu machen.[12]
Auch wenn diese Vorwürfe kritisch zu betrachten sind, boten die Hochschulgruppen eine willkommene Möglichkeit für die Studierenden sich politisch zu engagieren. Auch die Studentinnen waren in solchen Hochschulgruppen, vor allem der KHG, sehr aktiv. Die politische Emanzipation war hierbei eine Spiegelung der persönlichen Emanzipation, die viele Studentinnen zu dieser Zeit durchlaufen haben. [13]

  1. Nagel, Katja: Die Provinz in Bewegung. Studentenunruhen in Heidelberg 1967-1973. Bd. 13. Heidelberg u.a., 2009. S. 377.
  2. Nagel, Katja: Die Provinz in Bewegung. Studentenunruhen in Heidelberg 1967-1973. Bd. 13. Heidelberg u.a., 2009. S. 379ff.
  3. Historischer Überblick zu der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.http://www.ph-heidelberg.de/hochschule/ueber-uns/historischer-ueberblick.html. Stand: 27.05.2016.
  4. https://www.youtube.com/watch?v=OdDr3dBVodg. Stand: 25.05.2016.
  5. https://www.youtube.com/watch?v=EUcY0sY-noc. Stand: 25.05.2016.
  6. Wesel, Uwe: Die verspielte Revolution. 1968 und ihre Folgen. 1. Aufl. München, 2002. S. 220-223.
  7. https://www.youtube.com/watch?v=R7BHYMExnPQ. Stand: 25.05.2016.
  8. Wesel, Uwe: Die verspielte Revolution. 1968 und ihre Folgen. 1. Aufl. München, 2002. S.169ff , S.232ff.
  9. https://www.youtube.com/watch?v=wTnGa_CZEwI. Stand: 25.05.2016.
  10. Wesel, Uwe: Die verspielte Revolution. 1968 und ihre Folgen. 1. Aufl. München, 2002. S.235.
  11. https://www.youtube.com/watch?v=OdDr3dBVodg. Stand: 25.05.2016.
  12. https://www.youtube.com/watch?v=n0mWeUyOJcU. Stand: 25.05.2016.
  13. https://www.youtube.com/watch?v=Zsq8VZeU60A. Stand: 25.05.2016.

Einschätzung aus heutiger Sicht

Wie verhält es sich heute an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg? Haben sich die Hoffnungen, die auf die akademische Jugend als „Motor des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels“[1]
gesetzt worden sind, erfüllt? Betrachtet man die Forderungen und Ideen der 68er aus heutiger Perspektive, so wird deutlich, dass sie im Bereich der Hochschule und damit einhergehend in der Erziehung deutliche Spuren hinterlassen haben.

Enthierarchisierung der Erziehungsstile

Heutige Erziehungsstile sind geprägt von einem enthierarchisierten Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern, Lehrenden und Lernenden. Die Idee der 1968er von einem anderen Beziehungsverhältnis in der Erziehung hat sich damit durchgesetzt.[2]
Neben der Auflösung des großen hierarchischen Gefälles ist auch eine kritische Selbstreflexion der Erziehenden ein neues Element, das auf die Ideale der 68er zurückgeführt werden kann.[3]

Diese Veränderung zieht sich bis hin zum Verhältnis der Lehrenden und Lernenden in der Hochschule und so sind nun nicht mehr Unterordnung und Gehorsam die wichtigsten Tugenden, sondern vor allem Selbstständigkeit sowie Kritikfähigkeit – Ideen und Ideale der 1968er-Bewegung.[4]
Das ist mitunter ein Grund dafür, dass das erwähnte Grundmisstrauen und die Front zwischen Studierenden und Dozenten, welche/s in den frühen 1970er Jahren an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg vorherrschte, für einem Großteil der heutigen Studentenschaft fremd erscheint.

Demokratisierung der Hochschule

Auch die zentrale Forderung nach einer Demokratisierung von Institutionen wie Hochschule sowie Schule durch Mitbestimmung und Selbstverwaltung hat durchaus Spuren hinterlassen.[5]
Eine Idee, welche sich jedoch nicht durchsetzen konnte, war die der Drittelparität. Im Mai 1973 wurde mit dem sogenannten Hochschulurteil, verabschiedet vom Bundesverfassungsgericht, der Vormarsch der Forderung gestoppt. Darin wurde festgelegt, dass es unverzichtbar sei, den Professoren als Experten im Bereich der Lehre und Forschung, die Mehrheit zu entziehen.[6]

Emanzipation der Frauen

Eine Kontinuitätslinie ist im Bereich Emanzipation festzustellen. Frauenpower wird bereits von Professor Engelhardt erwähnt und spielt auch heute an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg eine große Rolle. Aus statistischen Angaben wird deutlich, dass im Jahr 2011 76,1% aller Studierenden – und damit mehr als zwei Drittel – weiblich waren.[7]
Doch nicht nur als Studierende sondern auch als Lehrende sind Frauen an der Hochschule aktiv. Mit 33 von insgesamt 76 Professuren stellten weibliche Lehrende damit im Jahr 2011 43,4% der Professuren. Im Bereich des wissenschaftlichen und künstlerischen Dienstes waren im selben Jahr 65,5% aller Angestellten weiblich, ebenso wie 55,9% der beschäftigten Beamten.[8]
Dennoch kann von einer vollendeten Emanzipation und einer Gleichberechtigung der Frauen keine Rede sein, so ist festzustellen, dass es vor allem Frauen sind, die einer befristeten Beschäftigung an der Hochschule nachgehen.[9]
Ebenso muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass an der Pädagogischen Hochschule Studierende für die spätere Bildung und Erziehung jüngerer Kinder ausgebildet werden, „ein[em; A.M] Bereich, der traditionell ganz besonders der Zuständigkeit von Frauen zugeschrieben wird.“[10]

Fazit

Rückblickend wird von Professor Engelhardt das politische Engagement der Studierenden in seiner Amtszeit als Rektor der Pädagogischen Hochschule Heidelberg im Vergleich zur heutigen Zeit als hoch eingeschätzt. Dieses „auf den Weg bringen“ sei jedoch nichts Schlechtes und so sei es durchaus wünschenswert, dass die heutige Studentenschaft etwas von diesem „politischen Elan“ habe.[11]

Literatur

  1. Baader, Meike Sophia: 1968 und die Erziehung. In: Schaffrik, Tobias/Wienges, Sebasrtian (Hrsg.): 68er-Spätlese – Was bleibt von 68? Münster, 2008; S.63.
  2. Baader, Meike Sophia: Erziehung und 1968. 2008; S.3.
  3. Baader, Meike Sophia: 1968 und die Erziehung. In: Schaffrik, Tobias/Wienges, Sebasrtian (Hrsg.): 68er-Spätlese – Was bleibt von 68? Münster, 2008; S.76.
  4. Baader, Meike Sophia: Erziehung und 1968. 2008; S.3.
  5. Gilcher-Holtey, Ingrid: Die 68er Bewegung. Deutschland-Westeuropa-USA. München, 2001, S.113&127.
  6. BVerfGE 35.79; S.80.
  7. Struktur- und Entwicklungsplan der Pädagogische Hochschule Heidelberg. S.65; aufgerufen am 18.5.2016.
  8. Struktur- und Entwicklungsplan der Pädagogische Hochschule Heidelberg. S.66; aufgerufen am 18.5.2016.
  9. Struktur- und Entwicklungsplan der Pädagogische Hochschule Heidelberg. S.66; aufgerufen am 18.5.2016.
  10. Struktur- und Entwicklungsplan der Pädagogische Hochschule Heidelberg. S.65; aufgerufen am 18.5.2016.
  11. Interview online abrufbar unter:https://www.youtube.com/watch?v=6AeXZ1NclDI; aufgerufen am 18.5.2016.