Politische Situation

Aus 1968
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Inhaltsverzeichnis

„Der Prager Frühling“ – 1968 in der Tschechoslowakei

Ausgangslage: Reformbemühungen der kommunistischen Partei

Die gesellschaftliche <a href="https://wordpress.org/" style="font-weight:normal;">Unzufriedenheit</a> in der zweiten Hälfte der 60er Jahre hatte in der Tschechoslowakei ökonomisch-materielle Gründe. Die Wirtschaft stagnierte und die Versorgungslage der Bevölkerung war nicht nur im Vergleich mit dem kapitalistischen Ausland schlecht, sondern auch verglichen mit den Nachbarstaaten des Warschauer Paktes. Die frühesten Reformimpulse kamen aus dem "Establishment"- nämlich aus der kommunistischen Partei; dort wurde seit Mitte der sechziger Jahre über Reformen kritisch reflektiert. Der Parteiökonom Ota Šik schlug eine Reform der mangelhaften Planwirtschaft vor. Seine Idee stieß auf große Offenheit und wurde in Partei und Gesellschaft debattiert. Diese Diskussion weitete sich zunehmend auch auf andere Themen aus. Dadurch entstand besonders in Prag, aber auch in anderen Städten, eine geistige und kulturelle Öffnung, die alle anderen „sozialistischen Bruderländer“ übertraf.

Protestgruppen: Intellektuelle und Studierende

Sowohl angesehene Intellektuelle aus der Politik, der Wissenschaft oder der Kultur als auch Studierende traten für den Reformprozess ein. Die studentischen Demonstrationen waren im internationalen Vergleich überschaubar und betrafen vor allem die Forderung nach besseren Studienbedingungen. Der Auslöser für die studentischen Proteste waren die schlechten Wohnbedingungen im Wohnheim im Stadteil Strahov: Strom und Heizung fehlten. Da in der Presse aber häufig der industrielle Fortschritt angepriesen wurde, setzten die Studenten ein erstes Zeichen. Auf einem Lichterzug forderten sie „Mehr Licht“. Intellektuelle wie Václav Havel und Ivan Sviták nutzten die öffentlichen Medien, um für eine Reformpolitik zu appellieren. Sie konnten über den Schriftstellerverband „Literární Listy“ und dessen Zeitschrift ihre Standpunkte klar machen.

Ziel: Sozialismus mit menschlichem Antlitz

Hoffnungsträger der Reformwilligen wurde Alexander Dubček, der seit dem 5. Januar 1968 Erster Generalsekretär des Zentralkommitees der KSČ war. Er gestaltete eine Phase der Reformpolitik mit, die das politische Erscheinungsbild der ČSSR rasant veränderte, z.B. durch eine Lockerung der Pressezensur und den Beginn der Untersuchungen der stalinistischen Säuberungen in den 1950er Jahren. Er setzte die Reformpolitik gegen den Widerstand der alten Apparatschiks durch und ermöglichte kontroverse Diskussionen zwischen unterschiedlichen Gruppierungen der Gesellschaft. Er wurde so zum Gesicht des Sozialismus mit menschlichem Antlitz.Bild Alexander Dubcek Im Sommer 1968 war die Tschechoslowakei ein Land im Gespräch mit sich selbst, allerdings unter Beobachtung der UdSSR. Dies war Dubček bewusst, denn als die vom Schriftstellerverband herausgegebene Wochenzeitung " Literární Listy" am 27. Juni 1968 das Manifest der "2000 Worte, gerichtet an die Arbeiter, Landwirte, Künstler und alle anderen" veröffentlichte, lehnte er dieses sofort ab - aus Angst vor der Reaktion Moskaus. Im Manifest wurde nämlich die konsequente Fortführung des Reformprozesses gegen reaktionäre Kritik gefordert - was langfristig das Ende des kommunistischen Machtmonopols bedeutet hätte.

Sowjetische Intervention: Panzer in Prag und Bratislava

Nach der Veröffentlichung der „2000 Worte“ sorgte dies für Nervosität bei den anderen „sozialistischen Brüderländern“. Vor allem die Sowjetunion befürchtete, dass es der Parteiführung der ČSSR nicht gelänge ihre Stellung als alleinige Regierungspartei zu wahren. Daher beschloss die UdSSR die radikalste aller Maßnahmen und marschierte am Morgen des 21. August 1968 in die ČSSR ein. Mit einer halben Million Soldaten aus den umliegenden sozialistischen Staaten wurden wichtige Schlüsselstellungen im Land besetzt. Truppen aus der DDR waren nicht beteiligt, standen aber in Bereitschaft. Man wollte damit vermutlich Erinnerungen an den Einmarsch durch die Wehrmacht 1938 im Zuge des Münchner Abkommens verhindern. Der Einmarsch verlief nicht ohne Verluste, 94 Bürger der ČSSR ließen ihr Leben, als sie sich den Invasionstruppen in den Weg stellten. Hochrangige Politiker wurden festgesetzt und zu Verhören nach Moskau gebracht. Alexander Dubček wurde entmachtet und 1969 durch den linientreuen Gustáv Husák ersetzt. Nach zwei Tagen waren durch das „Moskauer Protokoll“ , die Reformen in der ČSSR auf Eis gelegt.

Folgen: Resignation und Selbstaufopferung

Durch die sowjetische Besatzung im August 1968 erlosch im ganzen Land die Hoffnung auf demokratische Reformen. Trotz solidarischer Bekundungen aus dem Ausland wurde den Bürgern, die für Freiheit und Demokratie gekämpft hatten, unmissverständlich klar, dass sie diesem Gegner nicht standhalten konnten. Die Resignation führte zur Selbstaufopferung einiger junger Menschen als Protest gegen die Okkupanten und den Zwang, die Freiheiten aufzugeben, die sie erlangt hatten. Jan Palach, ein 21jähriger Geschichtsstudent, zündete sich selbst an und lief als menschliche Fackel über den Wenzelsplatz. Seinem Beispiel folgten mehrere andere junge Menschen. Bis heute ist die menschliche Fackel ein Symbol für die Bewegung der „68-er“ in der Tschechoslowakei. Der von Moskau erzwungene Rücktritt Dubčeks führte zur totalen Hoffnungslosigkeit unter der Bevölkerung auf mehr Demokratie bis zur „Samtenen Revolution“ 1989.

Unterschiede der 68er-Bewegung in der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik: Wirtschaft und Generationen

Während eine Wurzel des tschechoslowakischen Protests in der ökonomischen Stagnation lag, befand sich die bundesrepublikanische Wirtschaft zu diesem Zeitpunkt in einer Phase des Aufschwungs. Unterschiede finden sich auch in der Zusammensetzung der Protestierenden. Während in der BRD hauptsächlich Studierende einer relativ sorgenfreien Generation protestierten, waren die Träger der tschechoslowakischen Protestbewegung vor allem ältere Intellektuelle. Dementsprechend trat in der ČSSR auch nicht der für die westdeutsche 68er-Bewegung charakteristische Generationenkonflikt zwischen der Vätergeneration und deren Rolle im Nationalsozialismus und den studierenden Nachkommen auf. Während diese eine Aufklärung der NS-Vergangenheit und eine gesellschaftliche Liberalisierung forderten und sich damit gegen ihre Eltern stellten, hatten in der Tschechoslowakei beide Generationen in einer Reformierung des Systems gleiche Interessen.


Anmerkungen

Frei, Norbert (2008): 1968. Jugendrevolte und globaler Protest. München, S. 190-197.